Eva Schnell – André Thomkins Briefwechsel 1950
Eva und ihr späterer Mann André schreiben sich über Jahre hinweg, besonders intensiv am Anfang ihrer Beziehung, Briefe, die reich an Zeichnungen, Worterfindungen und Collagen sind.
August 1950
Mon trés cher petit André,
vor 24 Stunden waren wir noch zusammen, man kann es kaum glauben. Wir hatten heute einen unglaublich schönen Tag: Senlis, Chantilly und St.Denis – dauernd französisch gesprochen, heute Abend ging es schon prächtig.
Wir waren at least in einem Griechenlokal mit einer Negerkapelle und haben dort getanzt. Ich habe so oft an Dich denken müssen, wie schön es dort mit Dir zusammen sein müsste. Nun, das habe ich Dir ja schon im Voraus gesagt, wie sehr ich Dich oft in sowas vermissen werde.
Als ich heut morgen erwachte, war ich noch vollkommen befangen in unserer schönen Welt und ich bin sehr glücklich: ich sehe dann Dein strahlendes Gesicht, das bist Du, André, wie Du ganz allein mir gehörst. Ich musste immer lächeln, wenn Du mir sehr ernst einen guten Aufenthalt in Frankreich wünschtest – die glücklichste und schönste Erinnerung an Frankreich bist Du.
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August 1950
Mein liebes Evchen,
werden wir es fertig bringen, getrennt voneinander einen so herzlichen Kontakt herzustellen? Wir waren nur kurze Zeit beisammen und doch hat diese Woche genügt, sehr viel Gemeinsames und Gegensätzliches auszutauschen. So bleibst Du mir also denkbar lebendig!
Von Deiner Treibkraft zehre ich nun.
Meine Arbeit und mein Denken können sich hier in günstiger Atmosphäre entfalten. Deine Bemerkung, jeden Tag drei Blätter zu malen, ist mir ungleich tangibler als viele Ausstellungen und Gespräche.
Ich glaube, wir könnten uns vor allem durch meine Arbeit, über die wir miteinander schreiben können, sehr nahe bleiben, bis sich ein Wieder-sehen ergibt. Dieser geistige Verkehr muss sich aber entwickeln wie ein Wachstum, der beide reich machen kann, weil wir beide bereit sind, miteinander zu teilen, einander zu heben.
Du bist mir zu nahe als dass ich Dir sentimentale Lügen anhaben könnte – was mir auch nicht liegt.
Mit Herrn Römer, dem Kölner Blau-Reiter-Menschen fand ich mich auf einer sehr schönen Grundlage. Es ist eigentlich der Einzige, mit dem ich in Luzern verkehren möchte. Meine Freunde und Kameraden sind fort oder studieren in anderen Städten, das ist sehr gut.
Römer möchte mir sogar einen Mäzen verschaffen, was mir natürlich ermöglichen würde auf ein paar Jahre hinaus ein Studium betreiben zu können, befreit von materiellen Sorgen.
Früher oder später muss ich jedoch das Problem des Nebenberufes entscheiden. Das ist eine harte Nuss!
Ich kann Dir bloß Danke! sagen für das, was Du mir in Paris gegeben hast, Du wirst mich gut verstehen, nicht wahr?
Ich möchte Dich umarmen und küssen können . . . André
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Paris den 20.8.
Mein lieber André
ich möchte Dir gerne einen guten Brief schreiben, weil alles, was ich Dir jetzt geben kann, in diesen Worten liegt. Ich sitze bei Karin im Zimmer, sie schläft – es ist Sonntag und noch immer Paris. In dieser Woche war ich sehr fleißig (in den Museen) und habe manche Dinge gefunden, die mich sehr interessierten. Deine Gegenwart, Dein Dasein trug ich in mir durch an diesen Tagen und erfüllt von diesem Besitz ist Paris für mich mehr geworden als eine Stadt, die man sich ansieht.
Du schreibst von Deiner Arbeit, bist Du schon dabei? So schwer es Dir auch fällt, solltest Du doch versuchen, planmäßig zu arbeiten.
Ich fände es sehr schön, wenn da plötzlich ein reicher Mann auftauchen würde, der Dir die Möglichkeit für ein längeres Studium gibt. Doch unter diesem Aspekt würde ich die Frage eines Nebenberufes noch fallen lassen.
Was übrigens das Erlernen eines neuen Berufes (zum Geldverdienen) angeht, so kann das sehr schön und interessant sein; das Erlernen und Beherrschen einer neuen Materie ist immer anziehend, langweilig ist erst der Alltag und das Geldverdienen. Das ist quälend. Auch wenn man daran denkt, dass ein großer Teil des Lebens daran verschenkt wird. So könnte man Angst bekommen.
Doch ich glaube, dass wir letztlich dafür auf der Welt sind.
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Paris 21.8. (1950)
Mein lieber André,
ich habe mich sehr gefreut, als gestern Dein Brief kam, ich fürchte auch nicht. dass wir aneinander vorbei gehen in unseren Briefen. Es war sehr schön, dass ich Dich in Paris fand, überhaupt, dass wir uns gefunden haben. Ich bin sehr glücklich, dass Du bist wie Du bist und dein Dasein macht mich sehr froh. Dabei wünsche ich noch nichts für mich.
Eine Welt ohne Menschen, die wir lieben können, wäre unausdenkbar traurig. Und plötzlich wird man reich durch einen Einzelnen – unverdient und wunderbar. Darum ist es schön, zu leben.
In diesen Tagen war ich sehr fleißig und habe viel gefunden was mich interessierte. Vor allem bergen die vorchristlichen Kulturen ungeahnte Schätze. Leider bin ich sehr dumm und unwissend über diese Kulturen und Religionen und habe dabei das Gefühl, dass ein einfaches Kunstverständnis dafür nicht mehr ausreicht. Für die Menschen war es sicher auch nicht Kunst, was sie machen wollten, sondern irgendwelche Gestaltung im Dienste Gottes. Wie fern sind wir da. Sind wir doch schon so fern von unseren Kathedralen!
Planmäßig zu arbeiten, das bringt sicheren Gewinn, in die Ferne gesehen ist es auch der einzige Weg zu dem zu kommen, was man sagen möchte.
Ich frage mich, ob ich nicht nach Hause fahren sollte um noch eine Woche zu malen, ehe der Schultrott wieder los geht.
Hier in Paris werde ich doch nie fertig – was mich jedoch sehr locken würde wäre noch ein Umweg in Frankreich um ein paar Kirchen anzusehen.
Kirchen anzusehen wird wohl eine große Leidenschaft bei mir werden. Es wäre doch schön, wenn wir das einmal zusammen tun könnten. Es muss nicht Frankreich sein – auch Deutschland ist unerschöpflich reich.
Doch das sind Wunschschlösser und ich habe Angst, sie zu bauen; als würden sie zusammenbrechen, wenn man es ausspricht.
Weißt Du, das ist dasselbe wie mit der blauen Blume, die man immer sucht – man findet sie nie. Es liegt ein großes Geheimnis im Verzicht, Und nun lass Dich herzlich küssen auf die Augen, auf den Mund und das liebe Gesicht von deiner Eva . . . . ich wünschte mir doch (das ist schon wieder egoistisch) Du wärest hier. Noch eine Nacht im Trocadero-Park?
Liebes Herz – Noch einen kleinen Kommentar zu den voranstehenden Zeilen die ich neulich nachts schrieb: Es ist immer das Gleiche, ich bin glücklich, dass ich Dich getroffen habe, dass Du da bist, dass Du lebst.
Ich glaube immer, dass es eine wesentliche und richtige Einstellung zu einem anderen Menschen ist, wenn man durch eine Begegnung sich an nichts gebunden fühlt, dem anderen so von Herzen ein schönes, reiches Leben wünscht und dann darüber hinaus die Welt so schön und so köstlich wird, dass man sich gar nicht genug wundern kann.
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Ca 30.8. (1950)
Mein liebes Evchen
ich habe ein kostbar vergilbtes Blatt ausgegraben, auf dem ich Dir schreibe. Mit einiger Mühe habe ich mich in den sehr interessanten und ansprechenden Duktus Deiner Schrift eingelebt. Danke für Deine lieben Zeilen in denen Du sehr gegenwärtig bist. Vergib mir die späte Antwort, da ich immer ein wenig auf gute Laune wartet. Erreiche ich Dich wohl noch in Paris?
Ich lebe Deinem Wunsch nach planmäßiger Arbeit so ziemlich nach, wobei es mir jedoch schwer fällt, geistig einer befriedigenden Haltung nahe zu kommen. Meine Energie wende ich an der Aufnahme psychologisch – philosophischen Materials und Kriminalromanen (!) an; dies neben dem Malen und Zeichnen.
K. Römer, der deutsche Schriftsteller und Humanist, wenn man so sagen kann, bemüht sich in reizender Weise um mich.
U.a. meint er, ein Mäzenatentum in meinem Falle würde richtig sein. Er fasst dies in sehr humorvoller Art auf:
zehn Personen mit einer zu unterzeichnenden und zu 50 Fr. monatlich verpflichtenden Urkunde zur Unterschrift anzugehen!!! Ich könnte mir zwar etwas im Sinne der Patenschaft kriegsgeschädigter Kinder, die hier oft praktiziert wird, denken. So sehr mir die Wichtigkeit dieser Frage einleuchtet umgehe ich sie doch zu gerne.
Hörte ich da vorletzte Nacht heftiges Glockenläuten morgens zwei Uhr und über der träumenden Stadt war der Himmel glühendrot gefärbt. Ich gefiel mir in der Rolle des Bürgers (Stadtbürgers) von alten Zeiten, der auch im Mittelalter, wie noch jetzt, zur Brandstätte eilt; früher um mitzuhelfen, heute um zu gaffen. Mehr als komisch: Ganze Familien eilten bei starkem Regen aus der Stadt heraus in ein Dorf in dem eine große Scheune brannte. Ich kann mir den speziellen Genuss eines Narrs vorstellen bei solchem Geschehen. Zuletzt, gegen vier Uhr morgens, war ich mit den Feuerwehren, die an qualmenden Heumassen schafften, der letzte auf dem erloschenen und triefenden Bauernhof. Ich war durch und durch nass geworden in dem Regen und saugte diese ganze klassische Atmosphäre in mir auf.
Ich würde an Kandinski gedacht haben, wenn alles diese besondere Präzision gehabt hätte, doch Klee passte erstaunlich gut hinein: dieses Gras, die Matten, die wie nasse, lappige Kleider da lagen, das „ästeln“ (von Ast) der Bäume, das etwas hörbar ist, wenn man schaut und es regnet . . .die brennenden First- und Dachbalken, die in ihrer ganz bestimmten statischen Anordnung im Dunkel auch wieder bei Klee erscheinen – und die Silhouetten der vielen Menschen, die unter ihren Regenschirmen hinschreiten vor warmen und kalten Blitzen – einander auf einander zu rannten, Laternen, und Scheinwerfer, das Rauschen der Feuerspritzen – und dann plötzlich das Wimmern und Gackern von geretteten Hühnern. Hier war mein Element!! Gemalt habe ich davon noch nichts!
Was nimmst Du von Paris nach Hause? Du wirst jetzt reich sein, wie ich es auch bin und glücklich eine Liebe, die Liebe, unverdient zu bekom-men, wie Du sagst, aber auch geben zu dürfen. Da ist ein großer Raum in meinem Wesen in den ich gewachsen bin, der ist jetzt leer geworden und Du beginnst jetzt darin groß zu werden.
Was Du vom gemeinsamen Besuch deutscher Kathedralen meinst, ist ein Wunsch den ich ganz mit Dir teile. Das wäre wirklich schön. Ich freue mich riesig auf diese durchaus bestehende Möglichkeit, der ich meinerseits auf die Beine helfen werde.
Meine liebe Eva, mit ganz viel lieben Gefühlen küsse ich Dich und habe Dein liebes Köpfchen noch ganz nahe bei mir – Dein André
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30.8. (50)
Mein lieber André,
Am Samstag bin ich in Paris aufgebrochen in Richtung Reims. Ich war dann fast den ganzen Tag in der Kathedrale und um sie herum. Der größte Eindruck für mich war das Längsschiff in der Sicht von oben – herrliche Gothik – und die einzelne Plastik in den Portalen.
Im Museum fand ich schöne Corots und andere kleine Kostbarkeiten. Abends fuhr ich nach Laon. Von der Architektur her war Laon für mich das schönste Erlebnis in Frankreich. Dazu müsste ich Dir aber ein paar Seiten schreiben – wie ich es auch in Laon über die Kathedrale aus Begeisterung getan habe – doch das führt jetzt zu weit. Ich weiß auch nicht, ob Du Dich heute schon für Kirchen so begeistern kannst.
Ich ging dann nach St.Quentin und Amiens und je länger ich bei einer Kirche verweilte, in Amiens ist es auch vor allem wieder die Plastik, um so schlechter konnte ich mich trennen.
Die Kathedrale selbst wirkt ähnlich einem Zentralbau da sie wenig Längenausdehnung hat, das Schiff ist unendlich hoch – fast so hoch wie die Türme der Westfassade.
Dann fuhr ich heimwärts, begleitet von Abenteuern, die zu hören Dir sicher viel Spaß bereiten würde, doch nicht wichtig sind, um sie hier aufzuschreiben.
Im Ganzen war ich es leid, auch nur einen Mann anzusehen, müde, und konnte nur noch laufen. Nun bin ich einen Tag zu hause und bin sehr tatendurstig, d.h. ich habe große Lust, zu arbeiten. In meinem Zimmer hängt zur Zeit neben alten Werken von Eva Schnell das Plakat von der Matisseausstellung und eine Zeichnung von André Thomkins, die sich auch ganz gut macht, die ich, so glaube ich, aus der Erinnerung, doch noch besser finde als die erste des gleichen Modells und die ich gleicher Zeit auch aus ganz persönlichen Motiven aufgehängt habe.
Ein Souvenir aufhängen ist doch nicht ähnlich so, wie wenn man ein Messer schenkt? Auch in den Kathedralen begleitest Du mich und dieser Besitz ist ein stiller köstlicher Segen, ganz heimlich und immer über mir,
André, versteh mich recht, es soll Dich nicht befangen machen wenn ich Dir das schreibe. Es könnte Dich jedoch stören – und dann ist es natürlich besser, wenn Du es sagst. Das nicht nebenbei gesagt, sondern als Grundlage all unseren weiteren Austausches. –
Wie geht es Dir, bist Du an der Arbeit? Schreibst Du mir recht bald oder ziehst Du es vor, das nur alle acht Wochen zu tun? Dann ist nur noch zu überlegen, wie oft ich einen Brief an Dich abschicke, zur Zeit könnte ich Dir nämlich „ganz“ viel und „ganz“ oft schreiben.
Alles Liebe, Deine Eva
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Ca 1.9. 50
Mein liebstes Evchen,
jetzt habe ich Dich ganz nahe, jetzt fühle ich mich auch wohl, Dir zu schreiben, irgendwas, aber ganz spontan und offen. Diesen Deckel, der uns das Licht versperrt, wie Du sagst, den können wir weg schaffen.
Ich bin Dir so dankbar für die Art, in der Du ausdrückst, was für mich noch zu sehr Ereignis ist. Ich schämte mich ein bisschen, als ich die letzten Zeilen Deines Briefes las. Du hast mich so ertappt, aber der Ausdruck ist scheußlich . . .
Du siehst mich, wie ich bin, Du hast mich so kennen gelernt. Es gibt Selbstverständlichkeiten in Konvention, aber auch im Empfinden, die ich doch bloß ahne.
Ich habe diese Kraft der geformten, echten Persönlichkeit nicht, noch nicht, wie Du sie ausstrahlst. Ich sei noch sehr jung, sagen mir gute Freunde! Ja, und? Ich schwimme vollkommen – ich möchte jetzt so gerne bei Dir sein. Was kann ich tun?
Weißt Du, ich möchte nur nicht, dass wir uns mit Abmachungen, die ich Dir nicht zumute und wie ich sie auch nicht vertragen könnte: alle acht Wochen zu schreiben, z.B., das finde ich unmöglich, unannehmbar für uns beide. Dass meinerseits ein strikter Rhythmus unmöglich ist, dass dann und wann bloß eine Zeichnung oder ein paar Worte kommen, wirst Du gut begreifen.
Ich weiß aus allen Korrespondenzen, die ich geführt habe, dass ich heftig dem Moment und der Laune unterworfen bin.
Schreib mir viel, dass ich Dich immer so fühle wie jetzt. Diese paar Fotos und die zwei Briefe, alles das ist stark geprägt von Dir und so kann ich wissen und fühlen, wie Du bist, wie Du denkst.
Ich weiß nicht gut, was ich Dir zu sagen habe, aber so zu schreiben habe ich gern, von Satz zu Satz kommt von selbst etwas, das wirklich an Dich gerichtet ist.
Was heißt es, wenn ich Dir sagte, wir müssten einander über Malerei und Anliegen unserer Arbeit mitteilen? Wenn ich daran denke wird mir wirr im Kopf . . . ich wollte auch wieder mal wie die ersten Nächte, in denen wir disputierten, ein intelligentes Spiel mit Dir treiben und Du hast mich auch auf frischer Tat erwischt. Sei mir nicht böse, mein feinhöriges Evchen. Wenn ich mich nicht sehr täusche, so wirst Du solche und ähnliche Dinge sehr oft erleben in den nächsten Jahren unseres Zusammenseins. Ich glaube eben doch, dass eine ganze Entwicklung, die mein ganzes Wesen angeht, im Laufe ist. Ich weiß, wie sehr ich dabei an mich denke und kann auch bloß es Dir zugeben.
Wie soll ich Dich das eine, worauf Du so sehr wartest, dass aber in mir erst stark werden muss, fühlen lassen? Du glaubst mir, dass ich Dich liebe und anderes kann ich Dir nicht sagen. Mein ganzer Körper fühlt noch Deine Hände mit den feinen langen Fingern mit dem bewußten Mit-telfinger, der ein bißchen zermahlt ist.
Deine Haare, deine leise Stimme, wenn Du lange mit uns sprachst und mich oft zwischenhinein küsstest, all das ist noch ganz lebendig und jetzt seit heute Morgen dein Brief mit mir ist und ich Dich stark fühle, da weiß ich, das alles wahr werden wird, was wie ein Traum sich abspielte.
Dieses zärtliche Zutrauen, das Du immer hattest und die Weise, alles ruhig und einfach werden zu lassen, was in und um uns war, gehört auch zu dieser Liebe, die ist und immer neu wird.
Sag mir, mein liebes einziges Evchen, muss ich Angst haben, habe ich diese Angst vor anderen lieben, anderen Mädchen? Ich muss Dir diese Frage stellen. Ich habe keine Lust, es irgendjemand anderen zu stellen. Antworte mir nicht ohne zu wissen, was Du für mich bist und was ich für Dich bin. Ich will Dir auf keinen Fall weh tun, aber es gehört einfach zu meiner Offenheit, vielleicht Unwissenheit, Dich dies zu fragen.
Was würde ich bis jetzt in der Welt getan haben, wenn ich nicht dieses träumende Phantom wäre, unfähig, im Moment bewusst zu sein. Ich habe nie den starken Mann gespielt, von denen Du so selbstverständlich sprachst, als wir noch per Sie schon Arm in Arm die Avenue Kléber nach dem Bummel in Pigalle und Montmartre nach Hause spazierten. Du fragtest mich, ob ich auch glaube, dass die Mädchen nur brutale Männer liebten in unserer Zeit. Ich wusste nicht, wusstest Du, was Du da fragtest?
Ich muss ein dummes Gesicht gemacht haben, denn dies war für mich weniger eine Frage, als eine ganz intime Anspielung. Wie müsste das Mädchen sein, das sich einem Kinde unterstellen würde? Ein Kind lebt mit seinen Märchen, dann mit seinen Illusionen und Träumen. Du und unsere Liebe waren ganz angetan, ein Märchen zu sein, ein Märchen, dass mich schon glücklich machen könnte.
Ich beginne erst zu sehen und zu wissen, dass dies alles wirklich ist, dass es existiert. Lass mir dies bisschen Zeit das ich dazu brauche. Du kennst dies besser und weißt – nimm also diese Worte, die ich schreibe in Deinen Schutz und mich in Schutz vor ihnen.
Und nun können wir getrost von den objektiven Dingen sprechen. Du würdest mir viel Freude machen mit einer Probe Deines Theateplakates. Ich versteh nicht recht, wie Du „das Plakat ist mir zu graphisch“ meinst? Auf jeden Fall bin ich gespannt, wie Du so etwas lösest?
Hast Du in Paris skizziert in Hinblick auf Bilder, die Du in Rheydt malen würdest? Weißt Du, was ein Reinard oder Reinasche ist? Das ist jemand, der wie Du das Glück hat, Reims, Amiens, St,Quentin gesehen zu haben. Aber ich habe das Gefühl, sie mit Dir miterlebt oder wenigstens die Begeisterung mit Dir zu teilen. Du sprichst von einer Zeichnung von A.T. – Ich kann mir aber gar nicht vorstellen, was es ist.
Ich schick Dir jedenfalls eine Zeichnung, ein Selbstportrait. Ich sage dies mit Vorsicht, dass dies vielleicht ein besserer Vertreter ist, als die Blätter, die in Paris entstanden sind. Meine Arbeit nimmt gute Formen an, es ist aber ein anderer Stoff da – jetzt reizt mich vieles, was ich früher nicht sah, vor allem alte Handgegenstände und Küchengeräte.
Ich habe immer viel Zeichnungen an gute Freunde verschenkt und hatte Freude daran. Vor allem, weil man weiß, auf ein Verständnis stößt, da kannst Du Dir denken, wie mir Dir gegenüber zu Mute ist.
Schamlos werde ich Dich auch bombardieren. Gib acht! Du hast sogar Kritikrecht mit allen Kalibern!
Wenn Du gerne speziellen Tabak, ich weiß nicht wie es in Deutschland steht, möchtest, dann sag es mir bitte. Ich drehe meine Zigaretten immer noch fleißig selber. Die deinen waren doch besser . . .
Ach, Du musst wissen, dass ich mich verrückt nach Dir sehne Du hast mir außerordentlich gute Photos geschickt. Es liegt eine herrliche Frische in diesen Portraits, so möchte ich Dich immer, fein, geistreich und reif kennen. Ich versuche, Dich von weitem zu küssen wie – weißt Du? Noch viel, viel zärtlicher, wir sind wunderbar glücklich geworden miteinander. Auf bald, mein liebes Evchen,
Dein André
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3.9.50
André, mein Lieb,
Gestern kamen zwei Briefe von Dir, die ich ganz instinktiv ohne nach Datum oder Absender zu sehen in der richtigen Reihenfolge las. Die Schilderung Deines nächtlichen Brandganges war sehr anschaulich und sehr frisch, sodass ich, wenn ich jetzt Holzschnitte machen würde, sicher eine Anregung für mich daraus ziehen würde.
Ich erinnere mich dabei ein es Erlebnisses aus meiner Dresdener Zeit: Ich malte damals eine Kellnerin, einen frischen und natürlichen Menschen. Eines Tages kam sie ganz aufgelöst zur Sitzung. Sie erzählte, dass sie abends nach Hause kam und eine große Aufregung vorfand. Eine Frau hatte des Abends die Nachricht bekommen, dass ihr Mann gefallen sei. Nach Stunden nahm sie ihr schlafendes Kind, einen Säugling, warf ihn aus ihrem Fenster im fünften Stock und stürzte sich selbst hinunter.
Dort lag sie zwei Stunden wimmernd im Regen ohne das ein Mensch sie entdeckte und war tot als der Krankenwagen endlich kam.
Diese Geschichte ging mir damals so nach, dass ich nachts erwachte und gleich einer Vision die verzweifelte Frau am Fensterkreuz mit dem ahnungslos schlafenden Kind im Arm erblickte. Tags darauf schnitt ich dieses Bild auf ein großes an den Seiten noch borkiges Lindenbrett. Als mein Professor den Abzug sah sagte er: „Sind Sie verrückt, Fräulein Schnell, wollen Sie, dass wir beide sofort fliegen?“ ( es war in Deutschland die Zeit der „entarteten Kunst“)
Mir wackelten die Knie. Und doch war es nur eine Vorahnung dessen, was über Dresden hereinbrechen sollte.
Mit viel Interesse studiere ich Deine Blätter, die Du mir schicktest. Im Augenblick empfinde ich den Jüngling am Fenster mit dem blauen Rand als das geschlossenste. Auch Dein Selbstportrait gefällt mir in der Anlage, nur musst Du erlauben, dass ich ein ganz anderes Bild von Dir in mir trage.
Mein Bild hat nichts von dem Visionären Deiner Zeichnung. Es ist André der auf einem Sessel sitzt in einem Pariser Zimmer (es war in unserer zweiten Diskussionsnacht)
Deine Erscheinung, Dein Kopf. Der Spiegel, der dämmerige nächtliche Raum flossen zusammen in ein zärtliches Traum- Wachbewußtsein, die einzige Realität war Deine Stimme, die so erschütternd vom Spiel und anderen Unwirklichkeiten sprach.
Und dann sah ich einen anderen André, unter tiefen Zweigen liegend. Ich sah ein strahlend glückliches weißes Antlitz dass sich wundersam von der dunklen Erde abhob. Es schien ganz gelöst vom irdischen Alltag und es hat sich mir tief und beglückend eingeprägt.
Und noch eins: Du gingst im Laternenschein den Boulevard hinunter, nachdem wir uns getrennt hatten –
Du gingst wie ein Vogel, den man fliegen lassen muss, weil man ihm sonst Schaden zufügen könnte.
Doch nun zu Deinem zweiten Brief, der mir so viel Glück brachte, unerwartet, wie es immer eintrifft, mischen sich Deine Worte mit dem Antlitz unter den Zweigen.
Du bist mir so nahe, das Selbstverständliche ist wieder da, so wie Du mich immer küsstest sobald wir allein waren. Ja, und da ist zuvor manches vor dem Du Furcht hast. Ich möchte aber, dass Du Dich bei mir ganz ruhig, glücklich, ohne Furcht und auch ganz frei fühlst.
Es ist nichts, was Dich bindet, wenn es nicht Dein Gefühl ist, und wenn unser Erlebnis irgendwie auf deine Entwicklung einwirkt, so soll mein Dazu tun nur ganz zart und schützend sein.
Es genügt, dass Du wissend bist um meine Liebe. Und wenn Deine Gedanken so zu mir gehen wie meine zu Dir und Du so vom Glück getragen bist wie ich es jetzt bin, dann – ich weiß nicht wie ich es sagen soll, ist die Welt des Glückes voll.
Du fragst mich, ob Du Angst haben müsstest vor anderen Lieben? Warum, mein Lieb? Dies verschenken können und sich hingeben an den anderen, ist es nicht der größte Reichtum den wir besitzen? Ich glaube, und wusste es schon in Paris, dass unsere Begegnung Dich aufgeschlossen macht für diese Seite des Lebens und warum solltest Du nicht zugreifen wenn es uns so reich macht.
André, ich wünsche Dir ein reiches Leben und wünsche, dass es sich in Fülle Dir bieten möge. –
Ich lege Dir ein Ginkoblatt bei – ein eigenartiger Baum, weder Laub- noch Nadelbaumart.
André, Liebes, ich bin ganz nahe bei Dir und küsse Dich,
Dein Evchen